Anahita Razmi – Text der Videoinstallation (Deutsch)

آسمان تقسیم‌ناپذیر  (Āsmān-e taqsim-nāpazir)

1.

Ich bin eine Frau. Ich bin eine deutsche Frau. Ich bin eine iranische Frau.

Ich bin hier. Ich bin anderswo. Ich bin ich.

Ich bin frei. Ich bin nicht frei.

Ich lebe. Ich lebe hier.

Ich bin teilbar. Ich bin unteilbar.

Frau. Leben. Freiheit. Zan. Zendegi. Azadi.

 

Anonym, Künstlerin, 2025

2.

Wir Bewussten, wir haben es eigentlich noch einmal so schwer. Wir dürfen niemandem wehe tun, weil wir wissen.
Ich bin sehr am Malen, nehme all das bisschen Zeit wahr, was man jetzt hat, und er, er schüttelt weiter schöne Bilder aus dem Ärmel. Ich will meine Junggesellenzeit noch recht zum Lernen wahrnehmen; denn daß ich mich verheirate, soll kein Grund sein, daß ich nichts werde.

 

Paula Modersohn-Becker, Brief an die Mutter, Worpswede, 3. November 1900

 

 

3.

Ich bin eine vollwertige Zeugin. Ich bin am Tatort anwesend.
Mein ganzes Leben lang war ich am Tatort anwesend.
Ich, eine Frau, deren Zeugenaussage nur halb so viel wert ist wie die eines Mannes.

 

Anonym, Autorin, 2023

 

 

4.

Ich glaube, mein Glück besteht in der Hoffnung auf das Erfülltwerden meiner Wünsche. Habe ich es dann erst in der Hand, so scheint es mir gar nicht so reizvoll. Es erscheint mir dann nur noch als natürliche Entwicklungsstufe, über die man sich nicht zu wundern braucht und nicht zu freuen.

 

Paula Modersohn-Becker, Tagebuch, 02. April 1902

 

5.

Meine Freunde, die ich während meines Aufenthalts in Iran treffe – allesamt Gegner des Regimes, ob bekannt oder unbekannt –, sind sich der Verantwortung, die ihnen aus der Hoffnung nach dem Sturz des Regimes erwächst, bewusst und tragen ihre Last. Doch sie finden keinen wirksamen Weg, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Aus diesem Zustand heraus agieren sie unterschiedlich, ja sogar gegensätzlich.

Einer hat aus Verzweiflung an der Präsidentschaftswahl teilgenommen, ein anderer hat sich den Monarchisten angeschlossen, einer bemüht sich, eine sozialdemokratische Partei zu gründen, ein anderer versucht, eine Gruppe von Integrationsfiguren aus der Opposition zusammenzubringen, die die Gesellschaft in der Stunde der Not führen könnte.

Einer gründete eine unabhängige Medienplattform, um die Stimme der Opposition im Inland zu stärken. Ein anderer steht derart unter dem Druck ständiger Vorladungen und des Berufsverbots, das ihm auferlegt ist, dass er die Zukunft dem Lauf der Ereignisse überlässt. Ein weiterer plant, Iran zu verlassen, um sich im Exil gegen das Regime zu engagieren. Und so weiter.

Ein Freund, der kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde, behauptet, dass in den vergangenen Jahren ein großer Teil der Kraft der politischen Opposition für symbolische Aktionen eingesetzt wurde, die keine entscheidenden Ergebnisse erzielt hätten. „Auch wenn sie gut genug sind, um in die Geschichte einzugehen, tragen sie nicht zum Sturz dieses Regimes bei“.

 

Anonym, Künstlerin, 2024

 

 

6.

Diese Einsamkeit macht mich manchmal traurig und manchmal froh. Ich glaube, sie vertieft. Man lebt wenig dem äußeren Schein und der Anerkennung. Man lebt nach innen gewendet.
Ich glaube, aus solchem Gefühle ging man früher ins Kloster. Da ist denn mein Erlebnis, daß mein Herz sich nach einer Seele sehnt, und die heißt Clara Westhoff. Ich glaube, wir werden uns ganz nicht mehr finden. Wir gehen einen anderen Weg. Und vielleicht ist diese Einsamkeit gut für meine Kunst, vielleicht wachsen ihr in dieser ernsten Stille die Flügel.

 

Paula Modersohn-Becker, Tagebuch, Osterwoche, März 1902

 

 

7.

„Ein hartnäckiges Trugbild“
Lautloses Schweben, ich schließe meine Augen,
mein Körper erwacht, unruhige Ruhe.
Dränge meine Gedanken über Grenzen hinweg,
I am YOU, you ME and MeToo

Höre mich, während du scrollst,
mein Körper ein Gebetsteppich,
Mein Fleisch dein Sieg.

 

Koushna Navabi, Künstlerin, Januar 2025

 

 

8.

Das sanfte Vibrieren der Dinge muss ich ausdrücken lernen. Das Krause in sich.

 

Paula Modersohn-Becker, Tagebuch, 20. Februar 1903

 

 

9.

Der Körper hat mich schon immer in seiner rohen und nackten Präsenz fasziniert. Der Körper hinter dem Hijab, jenes Ding, das wir für das Paradies bewahren sollten. In der Schule waren unsere Aktzeichenmodelle immer vollständig bekleidet und meist in Uniform.

Meine frühen Zeichnungen wurden in der Schule abgelehnt und zensiert. Ich erinnere mich, wie ich meiner Lehrerin eine Zeichnung einer nackten Frau zeigte, auf die ich wirklich stolz war. Ich war gerade erst in die Schule gekommen, vielleicht sieben oder acht Jahre alt.

Sie fragte mich: „Warum zeichnest du ihr keine Kleidung?“ Dann ging sie weg und hielt dabei ihren eigenen Schleier fest um ihren Körper geschlungen. Das war wahrscheinlich das erste Feedback, das ich zu meiner Kunst bekam. Ich fühlte mich herausgefordert.

Es fühlte sich auf eine unbeschreibliche Weise gut an. Natürlich malte ich weiterhin wie besessen Aktfiguren – es war gewissermaßen mein stiller Protest.

 

Tasalla Tabasom, Künstlerin, 2023

 

 

10.

Meine Malerei sehen sie sehr misstrauisch an und in der Pause, wenn ich den Platz vor meiner Staffelei verlassen habe, dann stehen sie mit Sechsen davor und debattieren darüber.

Eine Russin fragte mich, ob ich denn das auch wirklich so sähe wie ich das mach, und wer mir das beigebracht hätte. Da log ich und sagte stolz ‚Mon Mari‘. Darauf ging ihr ein Taglicht auf, und sie sagte erleuchtet: ‚Ach so, Sie malen, wie Ihr Mann malt‘. Dass man so malt wie man selber, das vermuten sie nicht.

 

Paula Modersohn-Becker, Brief an Otto Modersohn, Paris, 23. Februar 1905

 

 

11.

Der imperiale feministische Diskurs von heute ist wirklich ermüdend. Ich hoffe, dass es den jungen Frauen gut geht. Und ich wünsche mir Gerechtigkeit und Befreiung für alle Frauen.

 

Anonym, 2024

 

 

12.

Du machst dir meinet halber Sorgen? Warum, womit, wodurch?
Manchmal ist das Leben schwerer als manchmal; aber damit muß man schon fertig werden. Man muss sogar feiner dadurch werden.
Man wird vielleicht dadurch etwas älter, wovor ich bange, weil es so langweilig ist, denn trotz meinem kommenden dreißigsten Jahre habe ich Angst vor dem ‚Erwachsensein‘, was ich identifiziere mit ‚resigniert sein‘. Mir wird das Stillesitzen hier manchmal sehr schwer. Trotzdem sage ich mir, daß das, was schwer geht, nicht immer das ist, was man meiden soll.

 

Paula Modersohn-Becker, An Herma Becker, Worpswede, 1. Dezember 1905

 

 

13.

Seit zwei Jahren müssen wir den Westen daran erinnern, dass der Widerstand iranischer Frauen weder 2022 begonnen hat noch zu Ende ist – trotz Medienerzählungen, die eine westliche „Intervention“ unter dem Vorwand rechtfertigen, „den Iran den Iranerinnen und Iranern zurückzugeben“.

Iraner, die glauben, US-Bomben würden sie retten, sind vor allem Monarchisten in der Diaspora. Manche scheinen sich mehr dafür zu interessieren, in Kaschan „Kabob“ zu essen, als sich um das Leben der Menschen zu sorgen.

Seit Jahren müssen viele Iraner und Iranerinnen an zahllosen Fronten kämpfen: gegen die Brutalität des iranischen Regimes, gegen die Auswirkungen der US-Sanktionen, die die Verwundbarsten treffen, gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen die politische Instrumentalisierung der Protestaufnahmen aus dem Iran durch Staaten wie Deutschland, die damit Islamophobie und Anti-Immigrationskampagnen befeuern und Zustimmung für eine Ausweitung des Krieges im Nahen Osten schaffen wollen.

Es ist schwer zu übersehen, wie Deutschland derzeit von iranischen Dissidenten-Filmen besessen ist und sie ausbeutet, um seine Bestrebungen zu rechtfertigen, Konflikte im Nahen Osten anzuheizen, während es gleichzeitig palästinensische Stimmen unterdrückt.

An den Filmen selbst ist nichts auszusetzen. Aber als Künstler:innen und Filmemacher:innen haben wir ein gewisses Maß an Kontrolle darüber, ob unsere Arbeiten für Kampagnen instrumentalisiert werden, denen wir widersprechen. Wir können diese Kontrolle ausüben, indem wir nicht schweigen.

Wenn wir politische Werke schaffen und „Frau, Leben, Freiheit“ rufen, dabei aber zu Palästina schweigen, sollten wir uns fragen, wozu wir beitragen. Keiner von uns ist unschuldig.

 

Anonym, Künstlerin & Filmemacherin, 2024

 

 

14.

Nach Kraft ringen. Das klingt alles so dramatisch. Man tut eben, was man kann, und legt sich dann schlafen. Und auf diese Weise geschieht es, dass man eines Tages etwas geleistet hat. Schuld oder Nichtschuld. Man ist eben so gut oder so schlecht, wie man ist. Das Herumdoktern an sich hat wenig Zweck. Man gehe gerade und einfach seinen Weg. Ich halte mich für gut von Natur, und sollte ich dann und wann etwas Schlechtes tun, so ist das dann auch natürlich.
Vielleicht klingen dir diese Worte hart oder eingebildet. Der eine denkt eben so, der andere so.


Paula Modersohn-Becker An Milly Rohland-Becker, Paris, 12. August 1906

 

15.

Du kannst doch auch sagen: Ich bin in Berlin geboren, bin getauft, gehe aber nicht in die Kirche, glaube an etwas Höheres, wüde das aber nicht Gott nennen, mache ein bisschen Yoga etc.

Ich, als iranische Frau, möchte das auch so sagen können: Ich bin ein bisschen das und ein bisschen das.

 

Interview Farifteh, 5. Mai 2005

 

16.

Dass du im Hintergrund meiner Freiheit stehst, das macht sie so schön. Wenn ich frei wäre und hätte dich nicht, so würde es mir nichts gelten.

 

Paula Modersohn-Becker, Brief an Otto Modersohn,  31. Januar 1905

 

 

17.

Die Vorstellung, dass „gute“ Kunst unpolitisch oder unsozial sein sollte, beruht oft auf der Annahme, dass Kunst ein Rückzugsort vor den Realitäten der Welt sein muss. Doch ich glaube, dass sich dies verändert und immer mehr Menschen erkennen, dass Kunst nicht im luftleeren Raum entsteht und nicht von der Gesellschaft getrennt werden kann, in der sie geschaffen wird.

Tatsächlich sollten wir Kunst als ein kraftvolles Werkzeug für sozialen Wandel nutzen. Ich behaupte nicht, dass alle Künstlerinnen politische Aktivistinnen sein müssen, aber ich glaube, dass sie sich am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen sollten. Kunst kann die Wahrnehmung und Haltung der Betrachtenden verändern und Aufmerksamkeit auf wichtige Themen lenken.

 

Roshi Roozbehani, Illustratorin, 2022

 

 

18.

Die Frauenemanzipation ist doch in diesem Rottenauftreten sehr unschön und unerfreulich.

 

Paula Modersohn-Becker, An Otto Modersohn, 31. Januar 1901

 

 

19.

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich aus dem Iran komme, aber nicht religiös bin, dann sagen sie: Ach so, dann bist du also westlich? Dann antworte ich: Nein, ich bin eine Iranerin und nicht religiös. Wenn man nicht muslimisch ist, ist man gleich westlich.

Siehst du, das ist unser Problem, für die meisten Menschen hier gibt es nur diese beiden Kategorien. Wir kommen im öffentlichen Diskurs gar nicht vor.

 

Interview Nasrin, 8.7.2004

 

 

20.

„Innenstadt“

Die Spatzen auf dem Gehweg
auf meinem Weg—
sie bewegten sich ein wenig,
doch flogen nicht davon

Es gibt einen Weg,
gemeinsam
in dieser Welt—
Es gibt einen Weg


Bänoo Zan, Autorin, 2024

 

 

21.

Es ist gut, sich aus den Verhältnissen herauszulösen, die einem die Luft nehmen.

 

Paula Modersohn-Becker, Tagebuch, 1904

 

 

22.

Jetzt im Iran fallen Tränen aus einem unserer Augen und Blut aus dem anderen. Diese Tränen und dieses Blut bringen brennende Fragen zu unserem Verständnis von Feminismus im Schatten des Neo-Orientalismus auf: Sie fordern uns einmal mehr auf, darüber nachzudenken, wessen Stimme zählt und wessen Stimme ständig unterbrochen, missverstanden, zum Schweigen gebracht und ausgelöscht wird.

Diese Revolution revolutioniert die maskuline und heteronormative Grammatik einer Revolution. Sie hat keinen – und widersetzt sich dem Haben eines – männlichen Anführers, männlichen Retters, männlichen Siegers. Sie weigert sich, einem ausgetretenen Pfad zu folgen, sich einer bestimmten Ausrichtung, einem festgelegten Ziel oder einer etablierten ideologischen Schlussfolgerung anzupassen. Sie wird kollektiv anonym gehalten und anonym kollektiv bewahrt.

Anonymität ist ein kollektiver Akt des Ungehorsams – und ungehorsam sein bedeutet, kollektiv zu sein.

 

Niloofar Rasooli, Aktivistin und Autorin, 2022

 

 

23.

Nun … meiner Meinung nach ist es besser, wenn die Leute akzeptieren, dass manche sich dazu entscheiden können, keinen Hijab zu tragen. Aber sie sollten wissen – wenn sie in die Hölle kommen, dann ist das ihre Sache. Wir sollten ihnen aber nichts antun. Zur Hölle mit ihnen. Sie werden schon in die Hölle kommen.
Und gut für diejenigen, die einen Hijab tragen. Aber wenn Leute protestieren, wie „Warum trägst du keinen Hijab?“ oder „Warum trägst du einen Hijab?“, das ist doch dumm.
Und dann taucht immer wieder die Polizei auf und sagt: „Du solltest nicht auf der Straße sein, du solltest nicht ohne Hijab sein …“ Kommt schon! Lasst sie doch gehen. Lasst sie zur Hölle fahren. Es geht euch nichts an.
Das ist meine Meinung. Lasst sie in Ruhe.


Anonym, 2024

 

 

24.

Und nun weiß ich gar nicht wie ich mich unterschreiben soll. Ich bin nicht Modersohn und ich bin auch nicht mehr Paula Becker. Ich bin Ich, und hoffe es immer mehr zu werden.

 

Fragment eines Briefes von Paula Modersohn-Becker, 1906

 

 

25.

Der Boden unter meinen Füßen wurde weich und verschob sich ohne Vorwarnung.

 

Farkhondeh Aghaei, Autorin, 2021

 

 

26.

Ich kann es mir nicht erlauben – und ich glaube nicht, dass irgendeine Form der Befreiung jemals unter der Aufsicht einer militarisierten Macht und nach vorgegebenen Richtlinien stattfinden kann. Ich habe die Überwachung in meinem eigenen Land nicht verlassen, um eine andere zu akzeptieren.

Aus diesem Grund und um meinen feministischen Prinzipien treu zu bleiben, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass das Nicht-Zurückziehen meines Beitrags – insbesondere eines Beitrags, der sich mit der feministischen Solidaritätsbewegung im Iran befasst – lediglich zur weiteren Instrumentalisierung eines Kampfes beitragen würde, um andere zum Schweigen zu bringen.

Hiermit ziehe ich meinen Beitrag offiziell aus dem Dossier zurück.

 

Sanaz Azimipour, Autorin und Aktivistin, 2023

 

 

27.

Worpswede, Worpswede, Worpswede! Meine versunkene Glockenstimmung! Birken, Birken, Kiefern und alte Weiden. Wunderschöne braune Moore – exquisites Braun! Die Kanäle mit ihren schwarzen Spiegelungen, schwarz wie Asphalt.

 

Paula Modersohn-Becker, Tagebuch, Worpswede, 24. Juli 1897